Frau am blacon del valle

Tag 21: Melancholie mit Aussicht

Datum: 31.10.2018 | Ort: Vinales

Tagesplanung wird überbewertet

Wir sind bei unseren Puffertagen angekommen. Eigentlich hatte ich für heute noch eine Insel angedacht. So recht Lust uns ein überteuertes Collectivo zu leiste und dann an einen Touristenspot geschippert zu werden haben wir jedoch beide nicht. Wir werden langsam ein wenig müde von Kuba. Die Vorfreude auf Mexico wächst dafür täglich.
Nur herumsitzen wollen wir jedoch auch nicht. Eigentlich ist geplant direkt in der Früh wandern zu gehen zum Balcon del Valle. Doch da wir nicht genau wissen, wann dieser öffnet, entscheiden wir uns spontan doch noch zu frühstücken.

In der Unterkunft hatten wir für das Frühstück abgesagt, also gehen wir in die Stadt. Man sollte doch meinen in einer Straße, die quasi nur aus Restaurants besteht, ist es leicht ein Frühstück aufzutreiben. Doch die wenigen Restaurants die bereits offen haben, haben maximal Sandwiches im Angebot. Wir durchqueren einmal die komplette Innenstadt und landen letztendlich wieder in der Tapasbar, in der wir bereits einmal mittag gegessen hatten. Ich esse Omelett, Max ein Sandwich. Das Preis-Leistungsverhältnis in der Unterkunft wäre besser gewesen.

Der Weg zum Balcon del Valle an der Hauptstraße

Dann gehen wir los zum Balcon del Valle. Der Weg ist schnell gefunden, es geht einfach immer die Straße entlang, durch die wie mit dem Collectivo nach Vinales gekommen waren. Einen Fußweg gibt es nicht. An manchen Stellen gibt es einen breiten Trampelpfad neben der Straße, manchmal ist dieser doch so ausgetreten und überwuchert, dass man bis über die Knöchel durchs Grünzeug läuft. An den meisten Stellen gibt es gar keinen Weg und auch kaum einen Straßenrand, den man vernünftig entlanglaufen könnte. Autos, Busse, LKW und Kutschen rauschen ohne zu bremsen an uns vorbei. Trotzdem sehen wir erstaunlich oft Leute die Straße entlang laufen. Ein guten Gefühl habe ich jedoch den kompletten Weg nicht. Es ist unbestreitbar gefährlich diese Strecke zu laufen und ich empfehle es absolut keinem.

Von der Anstrengung her ist die Strecke allerdings gut machbar. Es sind ungefähr drei Kilometer mit moderater Steigung den Berg hinauf, bis man an einen kleinen Ort am Straßenrand kommt. Vormittags schafft man den Weg auch ohne Wasser zum Trinken dabei zu haben. Wir haben es getestet, ich habe es nämlich in der Unterkunft vergessen – Obwohl Max es mir extra hingestellt hat, das betont er ausdrücklich.

Oben am Berg geht es quer über einen Parkplatz. Es gibt mehrere Schilder. Dann ist man auch schon da.

Lokal mit Aussicht: Balcon del Valle

Die Aussicht von den Balkonen ist nett. Nach unserer Sonnenaufgangswanderung kann sie mich allerdings nicht mehr so recht beeindrucken. Das Bella Vista im Tal, unweit der „historischen“ Wandmalerei gefällt mir persönlich besser. Aber wer es nicht so mit Wandern hat, kann hier gut mit einem Collectivo herkommen und ohne Mühen den Ausblick genießen.

Die Bedienung spricht Englisch, der Ananassaft kostet nur 1 CUC. Mein Gesamteindruck ist daher positiv, trotz des fürchterlichen Aufstiegs.

Am Tisch neben uns wird auf einmal groß herumgeräumt. Vier Stühle werden mit viel Mühe an einen Tisch drapiert und es wird diskutiert ob man sie denn gegenüber an zwei Seiten oder doch an alle vier Seiten stellen soll. Es scheint ein wahnsinnig kompliziertes Problem zu sein. Die Verursacher dieses Problems lassen nicht lange auf sich warten. Ein britisches Paar mit zwei Kindern kommt und ihr junger Guide erklärt ist extrem bemüht ihnen ja alles recht zu machen. Essen sei inklusive, Getränke auch – also eigentlich nur bestimmte, aber wenn sie etwas anderes wollen, würde er einen Weg finden, dass alles inklusive sei – Er würde das möglich machen für sie! Sie sollen bitte nehmen was sie wollen und den Ausblick genießen. Der Ausblick sei ja ganz fabelhaft – ob er ihnen auch ja gefalle? Er habe sich viel Mühe mit den Stühlen gegeben. Ich bin gerade sehr froh als Individualreisende unterwegs zu sein.

Ein Bus von Transtour fährt vor. Mir fällt auf, dass alle Tische am Nachbarbalkon reserviert sind. Ein zweiter Bus fährt vor. Bevor die Touristenmassen hereinstürzen können, zahlen wir und flüchten.

Vom Balkon del Valle nach Vinales

Von den Balkonen aus hatte ich einen Lehmpfad ausgemacht, der ins Vinalestal hinabführt und Richtung Vinales zu führen scheint. Daher überrede ich Max diesen Weg zu gehen. Ich habe wenig Lust mich erneut beinahe überfahren zu lassen. Wir haben im Restaurant auch unseren Wasservorrat aufgestockt, es ist noch früh und im Tal sind zahlreiche Häuschen. Es kann also eigentlich nichts schief gehen.

Der Weg ist die ersten Meter gut, dann etwas ausgewaschen, führt dann über einen Bauernhof und wird dann fürchterlich schlammig. Wir balancieren Baumstämme am Wegrand entlang, hüpfen über einen kleinen Bach, an dessen Ufer ein Schwein gemütlich döst. Wenig später freundet sich Max dann sogar beinahe mit einer Gruppe Schweinen an. Später sehen wir einen angebundenen Bullen mit einem Stockmaß von über zwei Metern in einer Wiese stehen. Das Tier ist ungefähr doppelt so viel Rind wie die Bullen, die normalerweise herumstehen. Wir machen einen weiten Bogen um ihn, er ignoriert uns.

Es fliegen Schmetterlinge und Vögel umher, Blumen blühen. Es ist ein schöner Spaziergang. Aber es stellt sich ein Gefühl ein von „hab ich schon mal gesehen“ und die Reiselust weiter zu kommen und neues zu entdecken nimmt merklich zu. An diesem Punkt müssten wir vermutlich weiterreisen, oder eine Tour machen, oder zumindest einen Guide buchen, der uns nochmal dazu bring innezuhalten und die Dinge um uns herum bewusster wahrzunehmen. Es ist als wären wir inzwischen kleine Novalityseekers und Adrenalinjunkys und und der Ort gibt nun schon wieder keinen Kick mehr. Wir müssen noch üben langsamer zu Reisen und unterwegs auch anzukommen.

Nach einer halben Stunde erreichen wir die Straße, die wir mit Yummy nach unserer Wanderung nach Vinales hinein gefolgt waren. Wir kennen uns also aus und gehen zielstrebig zurück in die Unterkunft.

Wehmut und Reisefieber

Nach einer kurzen Pause gehen wir zum WLAN, dann in den Supermarkt. Unterwegs sehen wir einen sterbenden Hund am Straßenrand liegen. Er hat ein großes offenes Geschwür am Bauch. Wir hatten ihn in den letzten Tagen bereits einmal herumlaufen sehen. Jetzt geht es zu Ende. Wir werden so etwas auf unserer Reise nicht zum letzten Mal sehen. Ich würde gerne etwas tun, um zu helfen. Doch wie alle anderen laufen wir hilflos und tatenlos vorbei.

Als wir wenige Minuten später aus dem Supermarkt zurückkommen, sehen wir gerade noch eine Polizeiauto davonfahren. Den Hund haben sie eingepackt.

Ich nuckle meinen viel zu stark gezuckerten Beeren-Smoothy aus dem Trinkpäckchen traurig und nachdenklich vor mich hin, während Max sich in den Restaurants an denen wir vorbeikommen die Karte zeigen lässt. „Die haben alle nichts für dich“ Erklärt er mir aufgebracht. Ich schau ihn an: “ Die haben alle genau das gleiche für mich: Reis mit Gemüse oder seltsame Pizza. Also such dir aus, was du willst“ entgegne ich mit schiefem Grinsen. Max seufzt: “ Aber das ist doch scheiße. Ich will dass du auch mal wieder etwas gescheites isst.“ Ich zucke die Schultern. Hilft ja nix.

Am Ende landen wir in einem Lokal am ganz anderen Ende der Straße als heute Morgen. Das erste was mir ins Auge fällt, ist, dass sie Frühstück anbieten. Das zweite ist, dass sie ein Abschnitt „For Vegetarians“ auf der Karte haben. Sie wissen also zumindest hoffentlich, was dieser Begriff bedeutet. Die Auswahl unter dem Punkt ist Gemüse, Reis mit Gemüse, Gemüsesuppe oder das ‚Las Vegas Trio‘: Reis, Gemüse und Nudeln. Immerhin. Zumindest die Nudeln sind auch gut.

Wir gehen nochmal zum WLAN. Inzwischen haben wir doch schon ziemlichen Entzug was den Kontakt zu Freunden angeht und auch Nachrichten. Ich erreich meine Familie und wir plaudern mal wieder ein bisschen. Ich erzähle vom Essen auf Kuba, meine Schwester erzählt, dass ihre Kinder kotzen. In der Relation bin ich dann doch lieber auf der Insel.

Als Deutschland ins Bett geht, beschließen wir noch einen Cocktail trinken zu gehen. Die Bar ist nett und hat einen Dachbalkon. Neben uns diskutieren zwei Typen auf deutsch angeregt über irgendein Kartenspiel: „Aber das ist doch eine kurze Farbe, du kannst doch keine kurze Farbe nehmen in der Situation! Du musst doch eine lange Farbe nehmen. Das ist eine Standardsituation!“ Ich weiß nicht worum es geht, aber der Eine macht den anderen ganz schön zur Sau.

Ich schaukel in meinem weißen Schaukelstuhl vor mich hin und nuckle an meinem Pina Colada. Er ist sehr cremig. Etwas mehr Ananas wäre mir aber lieber. Max redet über die aktuellen Fluktuationen an der Börse. Der amerikanische Markt hat nachbörslich positiv reagiert, jetzt ist er gespannt ob Deutschland morgen auch so zuversichtlich eröffnet. Vor den amerikanischen Wahlen ist der Markt ja extrem nervös, erkläre ich semi-professionell.

Wir gehen heim, als es langsam kalt wird. Mein Husten, den ich schon seit meiner Erkältung in Playa Larga mit mir herumschleppe wird im Moment wieder etwas schlimmer. Ganz fit bin ich definitiv nicht.

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